Performance Supermarketladies
Sightseeing mit Klopapier und Kippe
Mobile Performance der doppelten Supermarket Lady: Shoppen und schauen in der Aachener Altstadt.
Ein Bericht von Ralf Schröder
Sie ist eine Ikone der Pop-Kultur und war weltweit in zahlreichen Ausstellungen zu sehen: Die „Supermarket Lady“ des amerikanischen Künstlers Duane Hanson, die seit Jahrzehnten im Aachener Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen zuhause ist. In ihrer Heimatstadt kennt fast jeder die Skulptur, und die meisten mögen sie – obwohl die Frau mit dem leeren Blick und dem einschlägigen Outfit demonstrieren soll, wie die moderne Konsumgesellschaft das Individuum zurichtet.
Da bewusstloser Konsum und soziale Distanz durch die Corona-Krise und den Lockdown erneut zu hochaktuellen Themen geworden sind, schickten nun die Macher*innen des Projekts dance/re/public die Supermarket Lady auf einen Spaziergang durch die Aachener Altstadt – allerdings gleich in doppelter Ausführung: Zwillingsschwestern im Partnerlook, mit Kippe im Mundwinkel, Lockenwicklern im Haar und einem Einkaufswagen voll mit? Klopapier! Die Premiere war am dritten Adventssonntag, in den Kostümen steckten Alessandra Ehrlich und Eva Weissenböck.
Die große Stadt hat nicht Zeit zum Denken, und was noch schlimmer ist, sie hat auch nicht Zeit zum Glück.
Theodor Fontane
Ich shoppe, also bin ich
„Mit den Bildern der mobilen Performance wollen wir visuell irritieren“, sagt Initiator Yorgos Theodoridis. „Ich shoppe, also bin ich: Diese Haltung möchten wir zeigen und in Frage stellen. Die Supermarket Lady steht für eine gleichgültige Fokussierung auf das Materielle, auf das Gewohnte. Und dafür, dass wir eine Auseinandersetzung mit den Problemen, die uns überrollen, vermeiden.“
Auslöser für das Projekt dance/re/public, das eine ganze Serie thematisch unterschiedlicher Stadtspaziergänge umfasst, war die Corona-Situation und die Idee von Videokünstler Christoph Giebeler, den öffentlichen Raum kulturell zu erschließen. Theodoridis, in der Aachener Tanzszene seit vielen Jahren eine feste Größe, hat daraufhin die Choreografien entwickelt und setzt sie für den Verein CulturBazar e.V. um, dessen Vorsitz er innehat.
„Da die Theater geschlossen sind, möchten wir neue Bühnen erschließen. Und zwar solche, die bisher anders wahrgenommen werden: dance/re/public macht den öffentlichen Raum mit Kunst lebendig und überlässt ihn nicht nur einer ökonomischen Zweckstruktur.“ So wollen Theodoridis und seine Künstlerkolleg*innen die Kunst auch zu Menschen bringen, die sonst damit nicht in Berührung kommen. Und speziell zur Weihnachtszeit will man probieren, ob und wie der Gedanke „Kunst statt Konsum“ eine Resonanz finden kann. „Kunst“, fasst Theodoridis zusammen „ist und soll gesellschaftsrelevant sein, also gehört sie auf die Straße.“
Unterwegs als Ikone von nebenan
Wenn die doppelte Lady durch Aachen flaniert, merkt man keineswegs, dass es sich hier um ein Heimspiel handelt. Denn bestaunt werden nicht nur zahlreiche Schaufenster mit Sonderangeboten und anderen Attraktionen, sondern auch touristische Ensembles wie Dom, Rathaus oder Elisenbrunnen. Am Puppenbrunnen untersuchen die Ladies kurz, wie die Figuren konstruiert sind. Die Performance verläuft, abgesehen vom urbanen Hintergrundrauschen, stumm. Aber Frau Ehrlich und Frau Weißenböck kommunizieren unaufhörlich: Durch Blicke, Gesten und Mimik, wozu gerne auch das Schwenken der Handtaschen zählt. Deutlich wird: Viel von dem, was sie sehen, finden sie interessant. Aber das Interesse wirkt meist recht flüchtig, der nächste Zug an der Zigarette ist mindestens ebenso wichtig…
Viele der nicht sehr zahlreichen Sonntags-Flaneure waren bei der Premiere erstaunt und dann erfreut, den Damen zu begegnen. Es war zu merken, dass die Lady in Aachen als Ikone von nebenan bekannt ist – immer wieder gab es ein freundliches Hallo und immer wieder wurden die Smartphones für ein Foto gezückt. Nur ein junger Mann, der am Dom hockte und in einem Pappbecher Geldspenden einsammelte, war dem Shopping-Monster anscheinend noch nie begegnet. „Machen Sie Junggesellen-Abschied?“, fragte er. Und schob dann die in diesem Fall beste aller Fragen nach: „Oder was machen Sie?“
Kooperationspartner
Christoph Giebeler Visuelle Kommunikation
CulturBazar e.V
Gefördert von
Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
Region Aachen Zweckverband
Kulturbetrieb der Stadt Aachen
Performance
Alessandra Ehrlich & Eva Weissenböck
Musik
Samuel Reissen
Text
Eva Weissenböck
Kostüm
Steffi Mertens | Fadenkreuz
Regie
Yorgos Theodoridis
Video & Fotografie
Christoph Giebeler
Weitere Fotos von den „Shoppingladies“ Aktionen gibt es im Portfolio unter: